Montag, 10. Juli 2023

Tag 39: Teutonen-Grill Urnerboden

Linthal - Klausenpass
(25,3 km - 1.560 Hm auf - 510 Hm ab)

Als ich Auschecken will, komme ich mit dem Hotelbesitzer-Ehepaar ins Gespräch: Er träumt ja von diesem Fernwanderweg in Neuseeland (Te Araroa Trail, wie ich sofort einwerfen kann - nicht, daß das was für mich wäre (Zelt !), aber zumindest in der Theorie darf man ja auch jenseits der Alpen ein wenig Bescheid wissen und Literatur zu Hause haben ;-), wobei sie schon Neuseeland mit dem Camper abenteuerlich (genug) fand.

Sehr bemerkenswert (und sympatisch, weil sie das im Urlaub auch so handhaben) finden sie übrigens meine Bargeld-Bevorzugung als ITler.

Ach, wenn die wüßten, wie anachronistisch der moderne Mensch leben kann... ;-)

Irgendwann muß ich jetzt aber wirklich mal los, wobei ich noch etliche Minuten benötige, die beiden zu überzeugen, daß es KEINEN (direkten) Weg für mich gibt, sondern ich NATÜRLICH erst das Bähnli bergab nehmen muß, um dann (neben dem Bähnli) den Berg erstmal wieder zu Fuß und mit 16 kg Gepäck hochzusteigen.

Wäre ja noch schöner !

Apropos schöner: Eine schöne Zusatzaufgabe hatte mir mein Vater ja am Vortag aufgetragen: Von der Bergstation der Braunwaldbahn hatte ich im Ort noch 120 Höhenmeter zum Quartier aufzusteigen und man wird es mir - ob des Zufalls - nicht glauben, aber GENAU diese 120 Zusatzmeter nivellierten meine Höhenmeter-Statistik wieder, die ja im Rheintal etwas aus der Balance gekommen war: 38 Tage (seit Wien) mit 38.000 Aufstiegsmetern.

Um 10:05 Uhr kann ich dann endlich mal starten und es ist schon richtig heiß.

Serpentine um Serpentine - Gott sei Dank, meist durch den (schattigen) Wald - winde ich mich in angenehmer Steigung den Berg hinauf.

Das Bähnli macht das ja reichlich direkter:

Unterwegs überhole ich auch bereits ein älteres Ehepaar, was schon einige Tage parallel zu mir unterwegs ist. Wo die wohl übernachtet haben ? Wohl auch nicht in Linthal, sonst wären sie wohl nicht so spät dran, denke ich mir.

Nachdem auch das Steilstück (wo die Standseilbahn durch einen Tunnel im Fels fährt) auf angenehmem Weg bewältigt ist, lege ich einen kleinen Zwischenstopp am Ortsrand von Braunwald ein: Der Friedhof bietet erfrischend kaltes Wasser, um mich nach den ersten 500 Aufstiegsmetern ein wenig zu erfrischen.

Nur noch wenige Kehren und ich kann nach links (gen Westen) abbiegen und den weit über den Hang verstreuten, Auto-freien Ort verlassen.

Was mir bereits gestern aufgefallen ist und heute sehr deutlich erneut: Irgendwie ticken die Bremsen hier in der Schweiz anders !

Die normalen hatten es in Deutschland in der Regel auf Schienbein oder Wade abgesehen, die Pferdebremsen setzten sich in der Regel (gut getarnt !) auf meine grauen Socken oberhalb des Stiefelschaftes und beide Terrorstechviecher machten sich umgehend ans blutige Werk. Nicht selten sah ich abends ziemlich verbeult aus.

Hier läuft das ganz anders: Meistens landen die Bremsen zwischen Brust und Schlüsselbein auf meinem grell-orangen T-Shirt, dann fangen sie an zu meditieren oder ein Tischgebet zu sprechen, anschließend fallen sie mit einer Rate von annähernd 100% tot zu Boden.

Die nervösen oberbayerischen Exemplare hast Du dagegen kaum mal erwischt und wenn sind sie nach dem Absturz gleich wieder weggeflogen als hätten sie eine Reaktiv-Panzerung.

Auf der Höhe geht es letztlich weiter gen Westen.

In der Ferne kann ich bereits den Klausenpass (1.948 m) erahnen, über den ich heute noch rüber muß:

Zuerst gilt es aber in das Hochtal des Urner Bodens abzusteigen und den Kanton Glarus zu verlassen und nach Uri rüberzuwechseln.

Nach einem kleinen Stückchen an der Straße entlang, führt der Weg in Richtung Fluß und mitten durch ein Kieswerk in ein Camper-Eldorado.

Es ist hier auf mehr als 1.300 Metern nun am Nachmittag bis zu 33° heiß und Schatten gibt es längst nur noch unter den Sonnenschirmen, wie hier bei diesem Öko-Kühlschrank:

Ab und an weht der Geruch von gegrilltem Fleisch durch's Bild und immer wieder schaue ich dann panisch an mir herunter, ob ich schon irgendwo kokele und es deswegen so riecht !

Hier wird man echt am lebendigen Leib von der Sonne gegrillt.

Zwischendrin fällt mir zum wiederholten Mal eine dieser genial einfachen/einfach genialen Schweizer Erfindungen auf:

Da kommt keine Kuh, sondern nur zweibeinige Rindviecher drüber. Es ist gut zu gehen, unkaputtbar, Du kannst nicht hängen-/steckenbleiben, ...

Nachdem der Ort Urnerboden rechts liegen gelassen ist, beginnt der eigentliche Schlußanstieg von ca. 500 weiteren Aufstiegsmetern. Die Sonne steht nun schon etwas tiefer und manchmal kann man kurz etwas Schatten erhaschen.

Plötzlich sehe ich in der Ferne wieder Kolonnen von Rucksäcken. Wie am Vortag schalte ich in den (optischen) Zoom-Modus, schon hänge ich wieder hinten an der Gruppe von drei Französisch Sprechenden, schlängle mich durch die fünf Englisch Sprechenden beim Kalt-Wasser-Pausen-Planschen (ich verströste die Wortführerin und mich selbst auf's Etappenende) und plötzlich sind sie alle hinter mir:

Gruppen brauchen erfahrungsgemäß mehr Pausen, was sicherlich einen großen Teil des verlorenen Vorsprungs von 2 Stunden + 550 Aufstiegsmeter (also ca. 3,5 Stunden gesamt) erklärt, denn die 5er-Fraktion war um 08:00 Uhr in Braunwald gestartet.

Die moderne Straße zum Paß muß dann noch ein Mal gekreuzt werden und schon landet man auf der ruhigen alten Paßstraße, die nur von Kühen und (Weit-)Wanderern bevölkert wird:

Auf der asphaltierten Trasse toben sich dafür Motorradfahrer und Sportwagenbesitzer aus:

Nun ist es auch gar nicht mehr weit bis zum Übergang.

Das Hotel Klausenpass ist von jenem allerdings noch ca. 2,5 km und einen ordentlichen Abstieg entfernt.

Das ("Touristen-")Lager dort (in einem älteren Gebäude einige Meter auf der anderen Straßenseite entfernt) ist sehr großzügig eingerichtet und zwischen jeder Fraktion wurde bei der Matratzenvergabe (mit Namenszettel markiert) auf gleicher Ebene jeweils eine Matratze frei gelassen.

Sehr nett !

Ein tolles - und heute auch mal mit etwas größeren Portionen versehenes - 4-Gänge-Menü rundet den Tag ab, an dessen Ende es hier auf immerhin noch über 1.800 Metern auch gar nicht mehr so warm ist.


Begegnungen:

- bekanntes Weitwander-Ehepaar bereits im Aufstieg kurz nach Linthal

- 2 Grüppchen bekannter Gesichter im Aufstieg zum Klausenpass (3 französisch- 5 englisch-sprachige Personen)

- 1 Murmeltier

- 1 Kreuzotter


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