Donnerstag, 15. Juni 2023

Tag 14: Himmelspforten-Geländer nur zur Zierde !

Hochleckenhaus - Schafberg
(28,4 km - 1.730 Hm auf - 1.520 Hm ab)

Als ich kurz vor 6:00 Uhr bereits vor dem Wecker aufwache und zum Fenster hinausschaue, sehe ich bereits jemanden auf mich warten: Eine Gämse streift rastlos um die Hütte.

Die will doch nur spielen ! - Ich brauche aber noch ein wenig.

Erstmal das Speckbrot-Thermofrühstück verspeisen, dann fertig machen und um 6:50 Uhr mache ich mich auf in einen langen Tag.

Die Sonne im Osten steht noch tief in meinem Rücken:

Durch die Karstlangschaft des Höllengebirges geht es erstmal gen Südwesten mal bergab, mal bergauf.

Letztlich stehe ich nach Stunden an dem unbekannten Kreuz auf 1.559 Metern nahezu auf der gleichen Höhe wie morgens beim Start.

Aber nun beginnt der lange Abstieg durch den Wald, der immer mal wieder auch von kurzen Gegenanstiegen durchsetzt ist.

Von Zeit zu Zeit kann man den Ausblick auf den Attersee, hier im Salzkammergut genießen.

So langsam kommen mir auch mehr und mehr Wanderer entgegen.

Kurz vor dem Talort Weißenbach am Südost-Ufer des Attersees muß ich dann beim Anblick dieser Panzersperren schon an die gewisse Schizophrenie der Österreicher denken:

Viele schreiben hier den Amerikanern (mindestens) genauso viel Schuld am Ukraine-Krieg wie Putin zu.

Ich meine, von vielen Dingen in Amerika halte ich auch nicht viel (Trump, 2-Parteien-System, kranker Präsidentschaftswahlkampfmodus, abhängige Richter auf Lebenszeit, Irak-Krieg, ...), aber wo stände Europa - insbesondere eben auch Österreich heute, wenn die USA NICHT in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sich eingemischt hätten ? Wenn sie einfach ihre Konsumwirtschaft und den Kapitalismus unbeirrt fortgeführt und am Ende eben einfach mit den "Siegern" gute Geschäfte gemacht hätten ?

Hat die NATO jemals Territorien andere Länder erobert ? Bei Rußland könnte man an Afghanistan denken - das ist aber lange her, Tschetschenien, Südossetien, Abchasien, die Krim, sind nicht so lange her...

Und noch ein anderes Gedankenspiel zur "immerwährenden Neutralität" Österreichs: Stellen wir uns mal vor, der Kalte Krieg wäre vor ein paar Jahrzehnten mal ein heißer zwischen NATO und Warschauer Pakt geworden und nicht gleich im atomaren Armageddon geendet.

Die NATO-Pläne sind bekannt: Man hätte Österreich genötigt, die Brenner-Inntal-Passage und den Luftraum für den Transit zu öffnen oder sich dies militärisch erzwungen: Neben Italien wäre dies insbesondere für die (heute) zweitgrößte NATO-Armee der Türkei (wären sie mal vor Innsbruck statt Wien gestanden ;-), aber auch die anderen südeuropäischen NATO-Staaten wie Griechenland, Spanien und Portugal relevant gewesen, denn der Warschauer Pakt wäre ob seiner vielfach überlegenen Panzerstreitkräfte über norddeutsche Tiefebene und insbesondere die "Fuldaer Lücke" in wenigen Tagen am Rhein gewesen. Von Thüringen aus über Franken wäre es jenseits des Sperrriegels Bayerischer Wald mutmaßlich in wenigen Wochen gen Süden zur Donau gegangen.

Nicht umsonst sind heute noch die Pioniere in Ingolstadt stationiert: Ihre Aufgabe wäre sicher NICHT gewesen, über die Donau überzusetzen, sondern z.B. alle Brücken zu zerstören. Nicht umsonst lagen die großen Militärflughäfen in der BRD jenseits (Manching, Lechfeld, Spangdalem, Rammstein, ...).

Ich frage mich (hypothetisch), wie die Tiroler wohl reagiert hätten. Mir dünkt, evtl. wären ihnen die oberbayerischen Nachbarn geographisch und menschlich evtl. näher als Wien gewesen - letztere wollten ihnen mal gar Osttirol wegnehmen. Geschäftstüchtig wie sie sind, hätten sie evtl. für jeden Panzer 500 Schilling Maut an der Inntalautobahn abkassiert, den Speiseplan der Raststätten um Schweinefleisch reduziert und Diesel zu völlig überhöhten Preisen angeboten ;-)

Umgekehrt kann ich mir NICHT vorstellen, daß österreichischen Regierungen nicht ebenso klar war, daß der Warschauer Pakt mutmaßlich das flache Nieder- und Oberösterreich als gute Panzerarena zum Aufmarsch aus Ungarn und der damaligen Tschechoslowakei gen Westen betrachtet hätte, man dort sicherlich irgendwo noch über die Donau gekommen wäre und der Inn ist schließlich viel schmaler als die Donau und eine zweite Front.

Tja, die Ukraine war auch mal neutral.

In der logischen Folge, würde es mich alles andere als wundern, wenn es in Wien nicht auch Pläne einer "Alpenfestung" gegeben hätte, wie das ja seit längerem aus der Schweiz bekannt ist: Wenn Hitler diese angegriffen hätte, hätte man sich ins Kernland zurückgezogen und für ganz bestimmte französische Einheiten war sogar die Stationierungs-Position schon klar.

Analoges hätte sich natürlich auch für Österreich angeboten...


Nach 4:15 Stunden erreiche ich in Weißenbach nach all diesen Gedankenspielen das Ufer des Attersees.

Nein, ich erreiche es eben nicht: Alles zugebaut und Privatgrund.

Nun beginnt meine eigentliche heutige Etappe hoch auf den Schafberg.

Gerne würde ich mal kurz rasten, aber auch auf den nächsten vier Kilometern gen Südwesten findet sich weder eine Bank noch ein Seeufer-Zugang. So ähnlich muß es auch am Starnberger See sein. Und es ist eine Schande !

Als nächstes überschreite ich aber erstmal eine Grenze - aber ganz in Ruhe, zivil und unbewaffnet.

Nach Wien, Niederösterreich und Oberösterreich, bin ich nun nämlich gleich im Salzburger Land:

Der Weg führt mich noch ein Stück an der Straße entlang und plötzlich bin ich recht verwundert, kenne ich doch nur die Heck-Radständer mit stehender Radmontage. Da fährt aber ein Kleinbus, wo ein Rad in waagrechter Position liegt. Der Lenker schleift auf dem Asphalt (also der vom Fahrrad ;-) - das war auch das kratzende Geräusch, was mich - neben dem Hupkonzert des nachfolgenden Wagens - aufmerksam gemacht hatte. Den Fahrer (Lenker des Fahrzeugs) juckt es nicht und auch am Parkplatz an der kleinen Paßhöhe nach Burgau ist das Fahrzeug nicht anzutreffen. Viel dürfte von dem Lenker in Hamburg, Paris oder Madrid nicht mehr übrig sein...

Egal: Ich widme jetzt einen Stein zur Jausenbank um und stärke mich erstmal, denn mir steht nun ja noch einiges bevor: Gut 1.300 weitere Aufstiegsmeter.

Über Forststraßen schraube ich mich langsam nach oben und mir fallen opto-akkustisch in den steileren Anstiegen genau drei Radfahrer auf: Nämlich diejenigen, die sich wie in Zeitlupentempo an mir vorbeischieben und dabei pfeifende Geräusche (Lunge) von sich geben. Die anderen im Turbomodus und leichtem Turbinensäuseln (E-Motor) ignoriere ich da einfach.

Kurz führt der Weg nochmal nach Oberösterreich zurück, wo man in dieser Gegend wohl immer auf ALLES vorbereitet sein sollte:

Sicherheitshalber die Schneeketten im Juni aufgezogen zu haben, ist schon ordentliche Präparation. - Fast wie bei mir gestern mit den Gamaschen...

An einer T-Kreuzung diskutiert ein Pärchen mit Kleinkind in der Kraxe mutmaßlich auf Französisch über den weiteren Weg (und nicht über die t-Kreuzung). Das kann mir nicht passieren (also auf Französisch) und so gehe ich einfach rechts weiter.

Irgendwann höre ich hinter mir Schritte: Oh, das Paar hat aber ein ganz schönes Tempo drauf ! Ich zweifle am Bio-Walken ! Ich lausche (vergeblich) auf säuselnde Turbinen-Geräusche - höre ja aber nur noch zu 70% :-(

Jedenfalls sind die beiden kaum an mir vorbei, auch schon aus meinem Sichtfeld verschwunden. Wow !

Was manchen nicht klar ist: Die Füße, Waden und Oberschenkel sind nicht unbedingt die wichtigsten Dinge beim (Berg-)Wandern. Man wandert auch oder gerade mit den Augen. Und manchmal ist es dann in der Kombination mit dem Kasten zwischen den Ohren möglich, (scheinbar) wundersame Dinge zu tun.

So sitze ich jedenfalls bei meiner zweiten kleinen Pause für heute am Übergang oberhalb der Buchberghütte im Eisenaueralm-Gebiet bei meiner Jause als das Pärchen die Forststraße heraufkommt.

Da kann die Frau nur richtig breit lachen, als sie mich auf dem Stein wie bei Hase&Igel Brotzeitmachen sieht. "Touché", wird sie sich zum "enfant terrible" denken, was den riesigen Bogen der Forstraße an Hand der Radler-Bewegungsmuster analysiert und die Abkürzung über die Steigspuren durch die Wiese genommen hatte. Dumm darf man sein, man muß sich nur zu helfen wissen :-)

Von hier sind nur noch zwei Stunden bis zum Gipfel angeschrieben, was mir bei 800 Aufstiegsmetern und einigen Kilometern Wegstrecke schon ambitioniert erscheint.

Aber das Wetter paßt ja, also in Ruhe weiter.

Noch im Almrandgebiet, vor dem Wald treffe ich dann BB. Nein, nicht Brigitte Bardot und auch nicht die badische Barbara (das ist die berühmte Professorin mit der mafiösen Störstrahlungs-Theorie, die mehr und mehr Anhänger findet), sondern ich treffe Birgit und Brigitte.

Mit den beiden habe ich einen richtig langen, richtig netten Plausch in der Sonne über alles mögliche. Vielen Dank und schöne Grüße an dieser Stelle !

Dann geht es in den Wald...

Und nach dem Wald folgt kein Hexen- aber ein großer Felskessel:

Nun wird mir keine Menschenseele mehr begegnen. Es ist ja schon recht spät.

Das (alte) Schild "Nur für Geübte!" für den Felsen-Steig, auf dem es jetzt für mich weiter geht, macht mir primär zwar keine Angst, denn nach nun 23 Tagen unterwegs, bin ich schon wieder ein wenig eingeübt (obwohl der vorletzte Urlaubstag davor Mitte August 2022 war und ich natürlich wieder nur an der Optimierung des 16:10-Formats meiner eckigen Augen, aber an sonst nichts körperlich gearbeitet hatte), aber sekundär fürchte ich, die meinen evtl. auch wieder mir so ferne Dinge wie Schwindelfreiheit oder so komische Sachen...

Erstmal genieße ich jedenfalls den Tiefblick in die Ferne, fühle mich von den ganzen Gämsen am Weg hier aber jetzt schon etwas beobachtet.

Das Weg wird luftiger. Und dem Kai mulmiger.

Gut, daß ich vor dieser Bekanntmachung bereits meine Beruhigungsmittel genommen habe:

Ui, ui, ui, da geht es ganz schön runter...

Aber irgendwie (kainer weiß genaueres) komme ich denn doch an der Himmelspforte lebend an.

Geschafft.

Unter mir sehe ich die Bergstation der Schafberg-Zahnrad-Bahn verlassen liegen und im Hintergrund den Wolfgangsee:

Nun ist es nur noch ein kleiner Aufstieg zum meinem heutigen Übernachtungs-Domizil auf der Schafbergspitze.

Punkt 17:50 Uhr treffe ich dort ein.

Summa summarum 11:00 Stunden unterwegs. Davon 45 Minuten in Form von zwei nützlichen Pausen zur Nahrungsaufnahme und Erholung sowie 45 Zeit zum Ratschen mit verschiedenen interessanten Menschen. Müssen also wohl irgendwie 9:30 Stunden mit etwas Bewegung gewesen sein.

Was für ein traumhafter Tag !

Kam mir gar nicht (so) lang vor !

Die zweite Sonderprüfung (nach vorgestern) also auch gemeistert.


Begegnungen:

- 1 Gams, die morgens um 06:00 Uhr wie Falschgeld um die Hütte schleicht

- 1 Libelle

- 3 Bio-Biker (neben ca. 100 anderen)

- Birgit und Brigitte

- 5 Gämsen

- 1 Gams

- 8 Gämsen abends vor dem Hotel am Schafberg


2 Kommentare:

  1. Wieder eine Lücke, die ich schon ganz vergessen hatte ... unser Voralpenweg-Zeitfenster fiel genau mit der Revision der Feuerkogel- und Schafbergbahn zusammen, weshalb damals auch alle Hütten da oben zu hatten und wir deshalb über den Wolfgangsee ausgewichen sind.

    Ich glaub, ich bestell' mir jetzt mal Gamaschen (bei Globetrotter - in AT bekommt man sowas im Sommer sicher nicht .... :-)

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    1. Alle hatten mich 2014 im Vorfeld belächelt, aber ich war so froh über die guten Stücke in Tirol/AT gewesen: https://project-82.blogspot.com/2014/07/tag-032-uber-den-brenner.html?m=0

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