Am Morgen hängen Wolken im Tal: Prima, dann wird es wohl nicht so heiß wie die letzten Tage, wobei der Staubbachfall im Vergleich zu Fotos im Netz schon auch recht dürftig ausfällt:
Die Felswand bzw. - Stufe, die der Wasserfall im freien Fall abwärts herunterbricht, muß ich am Morgen nach dem Start aus Lauterbrunnen heraus nach oben überwinden.
Rasch gewinne ich an Höhe und kann einen Blick zurück auf das Dorf zwischen den Felswänden werfen:
Lauterbrunnen gilt wegen der Wände auf beiden Seiten auch als Eldorado für Basejumper - mit den bekannten folgen, daß Bauern öfter mal nicht-tierische Kadaver auf ihren Wiesen finden. Tja, wer den Kitzel braucht...
Angenehm durch den Wald und über die eine oder andere Lichtung führt mein Pfad statt im freien Fall schnell abwärts, Schritt für Schritt ganz langsam und gemütlich aufwärts.
Als das Niveau oberhalb des Felsriegelabbruchs erreicht ist, geht es in Richtung Süden oberhalb der Felssteilstufe entlang und nur noch leicht aufwärts.
Zwischendurch finde ich mal eine Seltenheit: Ein ganz kurzes Stück Stacheldraht.
Es wirkt wie aus einer anderen Zeit. Neben den tollen Markierungen und Wanderwegschildern war mit auf meinem Weg durch die Schweiz sehr schnell aufgefallen, daß es hier irgendwie so gut wie keinen Stacheldraht gibt - einem anderen Ärgernis für Wanderer (gerade im Bereich von Weidedurchgängen), woran schon etliche Regenhüllen, Hosen oder auch Beine in anderen Alpennationen Schaden genommen haben.
Hat ja auch nicht jeder Hund einen Aachener Martin, der ihn (bei Abwesenheit von Herrchen und Frauchen) über den Stacheldraht (im Finschteren Tal) hebt: Ein lieber Gedanke an dieser Stelle an Vaishavi im Hundehimmel !
Wie ich von Martina gestern erfahren habe (ein Hoch auf die Local Guides und ganz liebe Grüße an Stefan im hohen Norden, dessen Gedanken gerade in Richtung Venedig radeln wie man hört !), wurde Stacheldraht in der Schweiz vor einiger Zeit verboten. Und zwar richtig: Also nicht nur für neue Zäune, sondern auch bestehende Installationen mußten entfernt werden.
Was man neben den üblicherweise eher kleineren Problemen für Wanderer nämlich nicht vergessen sollte: Wenn Rehe, Gämsen oder andere größere Wildtiere sich da so richtig verfangen, können sie viele Stunden gar Tage dahinsiechen, bis sie verblutet, verhungert oder verdurstet sind. Selbst wenn sie "nur" Verletzungen davontragen, ist das schlicht Tierquälerei ohne Mehrwert: Selbst das dickste und ausdauerndste Rindvieh wird nämlich einen verdrillten Drahtzaun ohne Stacheln nicht durchgewetzt bekommen.
Da sollten sich die anderen Alpenstaaten mal ein Vorbild an der Schweiz nehmen !
Geht alles - man muß halt (wie so oft im Leben) nur wollen...
Der Weg führt weiter angenehm dahin und ab und an überholen mich mal Tageswanderer mit kleinen Rucksäcken.
U.a. auch Adrian aus Colorado.
Ich habe es heute nicht eilig: Die Etappe ist recht kurz, weil ich zu Hause irgendwie aus einer anspruchsvolleren zwei gemacht hatte. Das war keine gezielte Handlung gewesen, sondern ist mutmaßlich auf verschiedene Etappenplanquellen zurückzuführen.
Die Örtchen bzw. Stationen hier oben sind - wie Wengen auf der anderen Seite gestern - autofrei.
Als Verbindung fährt eine Eisenbahn - natürlich elektrisch, da die Schweiz einen Elektrifizierungsgrad von 100% aufweist, was in Deutschland natürlich nicht geht - ah, wie beim Klimaticket/Generalabonnement :-(
Ich kreuze die eingleisige und augenscheinlich unlängst renovierte Strecke, wo alle paar Minuten ein voll besetzter Triebwagen mit Gepäckanhänger in die eine oder andere Richtung im Pendelverkehr vorbeikommt.
Nun geht es flach an der Strecke auf breitem Weg entlang nach Mürren.
Am Ortsrand erwische ich das Bähnli mal frontal:
Adrian treffe ich auf einer Bank dann auch wieder und wir quatschen insgesamt 1,5 Stunden über seine Reise durch Europa und etwas Politik.
Erstaunt bin ich mal wieder, über gewisse widersprüchliche Wissenslücken, wie ich sie in ihrer Art schon häufiger bei Amerikanern beobachtet habe: Er ist ernsthaft überrascht, daß die Ukraine nicht in der NATO sei. Mir dünkt, das Prinzip rund um Artikel 5 ist ihm völlig fremd. Kein Wunder, wenn Präsident Trump dann damit werben konnte, aus der NATO aussteigen zu wollen. Erinnert mich irgendwie fast ein wenig an Brexit...
In Mürren selbst gibt es einige große Baustellen, u.a. bauen sie neben der großen Seilbahn, die nicht gerade alt aussieht, wohl gerade eine zweite Bahn:
Das gilt auch für die erste Sektion aus dem Talboden bis hierher und später bzw. am nächsten Tag werde ich erkennen können, daß das bis auf zwei der höchsten Gipfel hier wohl für alle Sektionen gilt.
Die Wolken vom Morgen wurden von der Sonne mittlerweile weit zurück gedrängt und ich kann einen Blick zurück über Mürren und das Lauterbrunnental werfen:
War ich heute bisher und in den letzten drei Tagen überwiegend auf breiten Wegen unterwegs, wird es nun wieder etwas ruhiger und die Wege schmaler als ich gen Südwesten zwischen Almen und einzelnen Häuschen hindurch weitergehe.
Die Ausblicke und das Spiel der Wolken an den hohen Bergen gegenüber ist immer wieder eindrücklich und ein Blickfang:
An der Spilbodenalp auf knapp 1.800 Metern lasse ich die meisten Wanderer nun endgültig hinter mir und starte in einen Steilaufstieg.
Einmal mehr die Szenerie:
Ein richtig schöner Bergpfad:
Ah, wie habe ich das vermißt - so nett die beiden letzten Tage mit Anna und Martina waren.
Der Pfad windet sich hier in kurzen Serpentinen den Hang hinauf...
Oben dann alte Bekannte: Der Vater mit seinen beiden Kindern, die ich abends im Hostel in Meiringen kennengelernt hatte...
Sie sind wirklich erstaunt, daß ich die Anstiege komplett zu Fuß gehe.
Im Anschluß geht es mehr oder weniger nahezu auf einer Höhe den Hang entlang, wie der Blick zurück zeigt:
Herrlich:
Und vor mir - im Kessel - kann ich neben einer größeren Alm bereits die Rotstockhütte erkennen, welche mein heutiges Ziel ist, der weitere Weg für morgen hüllt sich zumeist in Wolken:
Nette Lage für einen Ausflug ins Grüne:
Es ist gerade Nachmittag und bis zum Menu noch eine Weile hin, also erstmal kleine Stärkung:
Die Hütte ist abends wirklich komplett belegt und ein (unangemeldeter) Wanderer wird wohl noch in ein Bett auf der Alm nebenan verfrachtet. Auch wenn dies keine SAC-Hütte ist (sondern wohl von einem örtlichen Skiclub), ist die Führung, Ausstattung und Organisation exzellent: Für das Nachtessen sind Namensschildchen an den Tischen und es gibt genau die Anzahl an Sitzplätzen in der Hütte, die zur Anzahl der 42 Schlaflager paßt. Das ist auf AV-Hütten ja leider eine Seltenheit und in Frankreich habe ich bei der Runde um den Montblanc auch schon erleben müssen, daß es doppelt so viele Schlaf- wie Sitzplätze gibt.
Das Abendessen ist klasse und zu Nachschlag sage ich natürlich (mehrfach) nicht nein ;-)
Auch wenn die letzten Tage und morgen eher als Halbetappen zu sehen sind, es wird schon wieder anstrengender werden und ein wenig Reserven sind da nie verkehrt...
Tja, Tag 46, was soll ich sagen...
Egal wie konservativ und pessimistisch ich rechne, heute ist wohl endgültig, quasi spätestens der zweite Teil meines Spaziergangs durch und über die Alpen angebrochen, denn ich habe ja ganz klare Vorgaben aus Wien "100 Tage sind zu lang" (9 + 90 = 99 << 100 q.e.d.) und wer bin ich denn, mir anzumaßen, mich darüber hinweg setzen zu können - ich mache doch eigentlich immer, was andere Menschen sagen :-)
So schwingt ein wenig Wehmut mit, aber natürlich auch Vorfreude auf den zweiten Teil und nun geht es ja quasi nur noch bergab - man braucht es nur laufen bzw. ihn gehen lassen ;-)
Übergänge:
- Übergang bei "Im Gurgel", 2.024 m
- Rotstockhütte, 2.039 m
Begegnungen:
- Adrian, der gerade von Arizona nach Colorado umgezogen ist und jetzt hier für die Rocky Mountains trainiert, wie er sagt, wobei demnächst in München dann eher noch Bier trinken und in Belgien ein Festival ansteht
- Vater und seine beiden Kinder aus den Niederlanden, die ich abends im Hostel in Meiringen bereits kennengelernt hatte
- 1 Kreuzotter
- 7 Gämsen abends vor der Hütte
- Tischgesellschaft:
+ Markus und Erik (Köln/Bonn)
+ 2 frankophone Damen aus dem Kanton Jura (Cousinen)
+ der ENG<>FRA-Übersetzer
Du grosser Glückspilz! Nochmals 46 Tage! Macht immer noch Spass, deinen Zeilen und deinem Weg zu folgen. Weiterhin viel Freude beim Spaziergang. Grüsse aus dem fernen Fürstentum
AntwortenLöschenHey Pepi.
LöschenDu leidest wohl schon wieder unter ein wenig Diskalkulie ;-)
Wenn 46 schon in der zweiten Hälfte von 90 ist, bleiben noch maximal 44.
Cu K2.
P.S.: Das sind bestimmt die 2 Tage, die ich - aus Deiner Sicht - auch zu früh in Vaduz war :-b
Leider radeln nur die Gedanken Richtung Venedig, in erster Linie, weil uhug so tolle, neidisch machende Fotos postete. Ich nehme gerade wieder einmal meine hiesigen Tätigkeiten als Verpflichtungen wahr und bleibe deshalb hier. Wandern in Norwegen wäre sonst auch eine Alternative gewesen.
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