Bestes Wetter begrüßt mich beim Start am Morgen. Als hätte ich es selbst angerührt/gebraut:
An der Bushaltestelle in Weisstannen, wo einige Wanderer mit großen Rucksäcken wohl gerade abgeladen wurden und sich nun fertig machen, werde ich erstmal fertig gemacht: Systemabsturz wegen Speicherfragmentierung und Information-Overload...
Nach einem Reboot kann es weitergehen und ich mache mich noch vor den "Busfahrern" auf den Weg weiter hinein ins Tal auf die Alp Vorsiez zu.
Hier, in den Bergen oberhalb von Weisstannen, wurden übrigens Anfang des 20. Jahrhunderts die aus dem San Paradiso Nationalpark im Piemont gewilderten Steinböcke ausgewildert, nachdem man sie erst etwas in einem Tierpark aufgepäppelt hatte.
Teilweise gab es erst lokalen Widerstand, aber letztlich wurde ein Schutzgebiet definiert, ein Gehege gebaut und ein Wildhüter samt Hütte dazu abgeordnet.
Allerdings sprang bereits nach drei Tagen die Hälfte der Steinböcke über den Zaun, so daß der Wildhüter das Tor öffnete und auch die restlichen Exemplare in freie Wildbahn entließ.
An die Erfolgsgeschichte, die sich später (nach einigen Anlaufschwierigkeiten) daraus entwickelte (letztlich stammen eigentlich alle Steinböcke außerhalb des Piemont von diesen ab) erinnert dieser prächtige und keineswegs Foto-scheue Geselle:
Ich schlendere vor mich hin und die Trupps vom Morgen sind irgendwie im immer gleichen Abstand hinter mir.
Plötzlich kann ich sie allerdings nicht mehr sehen, stattdessen habe ich eine einzelne, ältere Dame im Schlepptau, die augenscheinlich auf Tageswanderung unterwegs ist (kein Rucksack, nur Hüfttasche).
Mmmh, irgendwie blöd, denn ich müßte mal für kleine Weitwanderer (Tee vom Frühstück, ihr wißt schon).
Bei einer Foto-Session schließt die Dame auf und geht mit kurzem Gruß vorbei.
Sehr schön. Nun kann ICH entspannt auf 50-70 Meter konstantem Abstand hinter IHR hergehen. Ich brauche nicht mal mehr auf Wegweiser/Markierungen schauen.
Tiefenentspannend wie das gleichmäßige Rauschen eines Bachlaufs oder Wasserfalls.
Etwas weniger entspannend sind nach 11 Uhr die Zeitangaben zum Ziel von ca. sieben Stunden weiterer Gehzeit.
Zwischendurch hat die Frau wohl mal Wasser nachgetankt und so begegnen wir uns wieder: Inge ist aus der Nähe von Zürich und heute Morgen kurz vor 07:00 Uhr mit den Öffis zu Hause gestartet. Dank Generalabonnement (für Österreicher: sowas wie das Klimaticket; für Dütsche: sowas schaffen nur die - teils überheblich belächelten - Österreicher und Schweizer: zu einfach, zu funktionierend - CSU-Verkehrsminister setzen lieber 247 Millionen Euro (+ Gutachter-/Gerichtskosten) für NIX in den Sand). Sie möchte die Grüne Via Alpina und den Schweizer Teil des Jakobswegs in diesem Jahr in Einzeletappen gehen.
Im Anstieg über den Fußweg gehen wir eine ganze Weile zusammen und quatschen.
Zwischendurch bietet ein kleiner Wasserlauf etwas Erfrischung, allerdings wurde das Rinnsal durch die - von der Sonne aufgeheizten - dunklen Felsen bereits ordentlich erwärmt:
Eigentlich bin ich ihr wohl einen Ticken zu schnell, aber irgendwie gehen wir dann trotzdem zusammen, bis ich für Mittagspause mal anhalte.
Ihre Vermutung, daß ich sie bestimmt wieder einhole, kann ich nur bedingt teilen.
Nach meiner Pause geht es über einen Felsabsatz mit großen Stufen ordentlich hoch.
Man bin ich klatschnaß geschwitzt.
Auf 1.883 Metern erreiche ich die Chälberweidli-Alp, wo sich die Kühe sauber sortiert haben:
Und Inge erwartet mich lachend: Sie ist dort auf eine Schorle eingekehrt gewesen und zufällig paßt unser Timing nun wieder gut zusammen, da die Männer auf der Alp ihr gedroht hatten, Handy-Fotos zu schießen, wenn sie in der Gumpe oberhalb wirklich Baden gehen würde. Männer !
Nachdem ich beim fünften Streich, der Verbindung von Voralpenweg/Maximilansweg zur Grünen Via Alpina durch das Rheintal, meinen Aufstiegsmeterschnitt von deutlich über 1.000 Hm pro Tag seit Wien demoliert hatte, soll nun Wiedergutmachung geleistet werden.
Der Anstieg geht weiter und Inge hadert ein wenig. Mit sich, der Welt und dem Anstieg. Aber nicht mit mir: Über die Psycho-, die Physio-Schiene und die in Aussicht-Stellung von mechanischen und ernährungstechnischen Hilfsmitteln, kann ich sie letztlich von diesen Gedanken abbringen und im Tender-Gespann-Betrieb gehen wir weiter bergauf.
An meinem ersten Übergang über 2.000 Meter über dem Meer seit Wien (Meilenstein 2.0) ist am Foopass auf 2.223 Metern die Freude groß.
Und Inge meint, ohne mich und meinen gleichmäßig ruhigen Schritt ("Pacemaker"), dem sie gerne gefolgt ist, wäre sie sicherlich noch laaaaange nicht hier. Ist ja nicht das erste Mal, daß ich mich als Lokomotive betätige... ;-)
Im Abstieg dreht sich das Blatt dann: Sie geht einen Ticken schneller als ich gehen würde (und rennt zwischendrin in Steilstücken sogar - um Himmels Willen, Hölle, Hölle, Hölle, das fiele mir ja nie ein, da tun mir vom zusehen ja bereits die Knie weh - aber wartet dann immer wieder), allerdings nur so schnell, daß ich das Tempo mitgehen kann.
Das Wetter und die Landschaft ist heute wirklich einfach traumhaft.
Allerdings ist es recht warm.
Nachdem ich an der Alm Raminer Matt festelle, daß der Brunnen WIRKLICH kalt ist - ich kann meine Hände kaum fünf Sekunden unter das erfrischende Naß halten - vollzieht Inge wieder das Ritual vom späten Vormittag: Hut ab, Hut gut mit Wasser füllen...
... aufsetzen:
Das war ganz schön viel Wasser. Und ich weiß, WIE kalt es ist. Zum Schießen, wie sie quieckt :-)
Im Schnellabstieg erzählt sie mir noch aus ihren jungen Jahren. Besonders bemerkenswert fand ich ihre erste Tourenskitour mit Bergführer: Die anderen Teilnehmer erzählten bei der Vorstellungsrunde von x Touren, 4.000ern und wer weiß was - sie bittet den Bergführer heimlich, sie auszulassen, weil sie - mit Mitte 20 - noch nie etwas derartiges gemacht hat. Sie hat keine Ahnung, keine Erfahrung, für jeden Tag nur einen Riegel dabei und minimales Gewicht. Die Lawinenlage ist kritisch: Bereits am späten Vormittag donnert es überall. Der Bergführer legt deshalb ein ordentliches Tempo vor und als einer der erfahrenen Teilnehmer schlicht nicht mitgehen kann, ruft er per Funk einen Rega-Helikopter und läßt den Mann wegen Gefährdung der ganzen Gruppe ausfliegen (muß ich mir merken: auch eine Lösung). In den nächsten Tagen geben nach und nach alle weiteren älteren/erfahrenen auf und fahren ins Tal ab. Erinnert mich irgendwie an "Zehn kleine Jägermeister". Am Ende sind nur noch Inge, ein weiterer junger Kerl und der Bergführer übrig. Und letzterer gibt am letzten Tag noch mehr Gas. Am Abend ist er fertig mit der Welt: Es ist ihm noch nie passiert, daß er Gäste nicht abhängen konnte. - Nun, ob das das Ziel eines Bergführers sein sollte, sei mal dahin gestellt, aber es sagt einiges über die Zähigkeit meiner heutigen Begleiterin aus :-)
Der Abstieg vergeht bei den gegenseitigen Geschichten wie im Fluge.
Irgendwie hat sie den Tag mit mir wohl auch genossen, denn sie würde mich gerne in Töniberg einladen, mit ihr spontan die Bergbahn für einen kleinen Ausflug hoch auf die Tschinglenalpe zu nehmen.
Ich überlege kurz: Da wir später ja genau an dieser Stelle wieder vom Berg kämen, wäre das ja weiterhin by-fair-means für meine Weitwanderung, allerdings habe ich ordentlich Durst und eine Dusche sowie mal etwas früher am Quartier zu sein, wäre schon auch nicht schlecht.
So lehne ich ab und werde noch per Handschlag, Dank und den besten Wünschen verabschiedet.
Inge, war ein toller Tag mit Dir und beruhte alles auf Gegenseitigkeit. Und gute Besserung für Deinen angeschlagenen Ehemann !
In Elm finden sich dann noch andere Bähnli:
Und ich laufe im Ort noch auf zwei weitere einzelne Fernwanderer auf, die augenscheinlich auch gerade im Schlußspurt zu ihren Unterkünften sind, wobei das teilweise nicht (mehr) ganz so rund aussieht.
In meiner Unterkunft, hängt dann noch der passende Spruch:
Diese Medizin und das Inge-Doping sorgten heute für insgesamt nur 6,25 Stunden Gehzeit. So kann die Zeit zuweilen wie im Fluge vergehen...
Übergänge/Gipfel (> 2.000 Meter):
- Foopass, 2.223 m
Begegnungen:
- 1 Libelle
- Inge aus der Nähe von Zürich auf Tagestour
Die Inge hat dich scheinbar gleich so begeistert, dass aus den Steinböcken zwischendrin mal Gämsen wurden ;)
AntwortenLöschenUps, ein Fauxpas !
LöschenWurde korrigiert.
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
LöschenIst mir grad noch ein-/aufgefallen. Du scheinst ja gedopt zu sein, egal mit was :O Auf dem Schild stehen 9 h für 25 km nach Elm und über 1300 HM und läufst das in 6,25 h. Unvorstellbar welche Zeiten du hinlegen würdest, wenn du auch noch trainieren würdest, so zwischendrin... ;)
AntwortenLöschenEs gibt manchmal so Tage, an denen paßt einfach alles, und dann läuft's.
LöschenAn anderen Tagen kommst Du quasi nicht vom Fleck, bleibst dauernd stehen und mußt sehen, daß Du überhaupt ans Ziel kommst.
Generell geht es natürlich NICHT darum, möglichst schnell ans Ziel zu kommen, nur da ich morgens (bekanntermaßen) nicht zu den Schnellsten gehöre, muß ich nach dem Start schon sehen, wo ich bleibe :-)
"Trainieren" ? - Welch häßliche Vorstellung. Igitt. Gehe mir gleich mal die Hände, Augen und Ohren waschen.
Und sie nimmt sowas in den Mund...
P.S.: Gut, daß ich das Schild nicht gelesen hatte - wer weiß, ob ich sonst überhaupt losgelaufen wäre :-)