Freitag, 30. Juni 2023

Tag 26: Zurück in der Einsamkeit

Tutzinger Hütte - Walchensee/Obernach
(26,2 km - 740 Hm auf - 1.240 Hm ab)

Der Morgen schaut auch schon wieder gut aus: Die Steinböcke rücken wieder aus ihren nächtlichen Einstehplätzen aus und auch ich mache mich auf DEN Weg (wie damals bei München-Venedig) hoch zur Glaswandscharte rechts am Sockel der Benediktenwand vorbei nach oben:

Im Aufstieg lasse ich das Ehepaar aus Osnabrück passieren: Mit ihren niedlichen kleinen Rucksäcken und voller Elan der geplanten Benewandüberschreitung mit Stahlseilsicherungen im Abstieg sind sie schneller als ich mit meinem Hinkelstein auf dem Buckel.

Nach ca. 200 Hm Aufstieg ist das erste Freuden-/Stroh-Feuer bei den beiden aber augenscheinlich abgebrannt: Mein eingebautes Schweizer Uhrwerk mit dem gleichmäßigen Takt in den Beinen hat sie wieder eingeholt - just vor meiner Abzweigung auf 1.569 Metern.

Wir quatschen noch kurz und ich wünsche ihnen alles Gute, denn für sie geht es jetzt ja nach Osten (weiter bergauf) und für mich nach Südwesten, steil bergab:

Nach einer Weile erreiche ich die querende Forststraße:

Ich kann mich noch gut an 2008 erinnern: Hier hatte ich Christine (die Arbeitskollegin) damals gebeten, doch bitte nicht den steilen (direkten) Wasserfallweg zu gehen, sondern die Forststraßenumgehung hinunter nach Jachenau, um meine Knie am Anfang der Tour zu schonen und keinen Totalausfall zu riskieren.

Das Hinterhältige: Diese Forststraße führte erstmal wieder bergauf.

Der Skandal: Trotz aller Erosion geht es auch 15 Jahre später IMMERNOCH bergauf ! :-o

Im Unterschied zu damals zweige ich aber bald auf einen netten Trampelpfad durch den Wald gen Westen ab.

Irgendwo im nirgendwo dann ein riesiges Kreuz - als ob hier ein Gipfel wäre. Unweit ist allerdings eine Bergwacht(dienst)hütte.

Der erste Teil des heutigen Tages hält viele solche Singletrails zwischen den verschiedenen Almen bereit und nur direkt im Almgebiet gibt es mal kurze Stückchen Almstraßen.

Bewirtschaftet sieht allerdings aktuell keine der Almen aus: Weder mit Vieh, noch für Mensch.

Und Wanderer sehe ich auch nur einen einzigen.

Da muß ich spontan (und weil Pepi meint, ich mache mir immer so meine Gedanken) an die Sache mit den Kühen und den Steilhängen denken.

Ich habe da aus Niederösterreich gleich mal noch ein Foto parat:

Fast 35 Jahre lang, hatte ich ja meinem Vater geglaubt, der mir immer erklärt hatte, daß die Bergkühe Teleskopbeine haben und auf diese Art auch an den steilsten Hängen stehen können.

Dabei weiß doch jeder halbwegs geübte Bergwanderer, wie das mit den Teleskopstöcken so ist:

1. Innenverschraubungs-Systeme: Nach einer Weile nur noch von Stockflüsterern fest zu bekommen (da habe ich zwar gewisse Talente, wende die aber nur bei fremden Menschen/Stöcken an - bei den eigenen wäre mir das gehäuft zu nervig) und spontanes Zusammenrutschen nicht auszuschließen.

Kühe wären schöne Rindviecher, wenn sie sich darauf verlassen würden.

2. Außenverschraubungs-Systeme: Prinzipiell besser (von der Haltbarkeit und Dauerhaftigkeit), allerdings kann man damit leicht hängen bleiben, es ist schwerer und hat jemand von Euch schon mal Kuhbeine mit Außenverschraubungen gesehen ?

3. Bliebe höchsten noch Hydraulik: Das ist aber viel zu Wartungs-intensiv. Und wenn so eine Kuh sich mal an einem Felsvorsprung verletzte und dann die Hydraulikflüssigkeit herausliefe...

Kann nicht sein !

Summa summarum: Ich glaube, mein Vater hat gelogen ! Ich glaube, mein Vater ist ein Märchenerzähler !! Ich glaube, ich bin gar nicht mit ihm verwandt - so fremd wie mir das ist !!!

Nun also mal die ganze Wahrheit für bergferne Norddeutsche (Stefan, jetzt kannst Du noch was lernen !), die bevorzugt schwarzweißes Fleckvieh und Lackenfelder Zebra-Kühe kennen:

Die schlauen Bergbewohner haben über die Jahrhunderte durch systematische Züchtung bevorzugt linke und rechte Kühe herausgebildet (siehe Foto oben !): Die einen haben längere Beine links, die anderen rechts und deswegen gehen sie auch immer parallel zum Hang, denn so eine Kuh ist mit dem hohen Schwerpunkt und der relativ engen Spur sonst schon ein potentielles Umfallobjekt.

Ab und an kommt es dann zu unerwünschten Kreuzungen dieser beiden Typen und es kommt eine Kuh mit kurzen Vorder- oder Hinter-Beinen bei raus: Das sind dann die wenigen, die bergauf oder bergab stehen.

Und dann gibt es noch die untauglichen: Kurze/lange Beine über Kreuz ! - Bei einem derart verzogenen Schrank zu Hause, legt man Keile unter, bei einem Tisch/Stuhl klebt man Bierdeckel zum Ausgleich an die Füße, aber wenn Du das bei einer Kuh machst, die durch das Wasser/den Schlamm watet - keine gute Idee !

Was also tun mit derart Untauglichen ? Logisch: Echt Wiener (Kalbs-)Schnitzel ! - Warum sollte man sonst ein Jungrind schlachten, wenn es erwachsen viel mehr bringt ?

Tja, und deswegen gibt es eben fast nur noch Schnitzel Wiener Art und ein echtes Kalbsschnitzel ist sehr teuer. Alles nur, weil die Züchtung der linken und rechten Kühe so weit optimiert wurde...

Kinder, noch eine andere Sache, was so eine Kuh betrifft: Die funktioniert quasi wie eine Dampfmaschine:

Wasser + Kraftstoff rein, Kraft + klimaschädliche Gase (Methan/CO2) + Abwärme raus:

Und wer sich jetzt fragt, wie so eine Dampfmaschine genau funktioniert, dem sei (pädagogisch neumodisch: Flipped-Classroom-Prinzip) folgendes Erklärvideo wärmstens empfohlen: Da stelle mer uns mal janz dumm.

Tja, auch eine Kuh ist von innen (ohne Licht) betrachtet, ein großer, runder, schwarzer Raum mit zwei Löchern. Logische Wissenschaft kann so einfach sein...

Unglaublich kompliziert kann es aber aktuell sein, unterwegs etwas zu Trinken zu bekommen - diesmal - als tragischem Endpunkt der Suche - an der Jocheralm am Jochberg ist ein Trauerfall dazwischen gekommen:

Gut, daß ich mir prinzipiell immer ausreichend Wasser für die jeweilige Etappe unter Anbetracht der Länge und der Wetterverhältnisse mitnehme.

So steht mir jetzt der Abstieg zur Deutschen Alpenstraße am Kesselberg bevor:

Bei Urfeld erreiche ich dann das Ufer des Walchensees:

Es hat schon fast 30° und nun muß ich noch etliche Kilometer den Radweg an der Straße am See entlang gehen.

Der Weg ist gar nicht so schlimm, allerdings so schmal, daß ich meinen Rucksack immer zur Seite/nach Hinten über die "Reeling" bugsieren muß, damit Radfahrer überhaupt an mir vorbeikommen. Ich habe heute meinen netten Tag und die meisten sind explizit dankbar für den Passierservice - noch dazu kostenlos !

Zwischenzeitlich zweifle ich mal wieder an der Menschheit oder der Existenz von Formen an Resten von Intelligenz:

ICH dachte ja immer, die Klimakleber klebten sich vertikal an Straßen fest ?!

Von horizontalen Anklebungen an Holzstadeln habe ich ja noch nie gehört...

In Walchensee gleich mal am erstbesten (und wie sich im weiteren Verlauf zeigen wird: einzig geöffneten) Lokal zum Boxenstopp abgebogen (ist sogar noch die Empfehlung der Damen vom Tisch an der Tutzinger Hütte) und etwas Brennstoff und Flüssigkeit nachgetankt, denn ich werde etwas außerhalb übernachten, wo es abends nichts geben wird.

Und das halbe Dorf ist sowieo gerade bei einer Beerdigung auf dem Friedhof (evtl. der Trauerfall von der Jocheralm ?), an dem ich just vorbei komme.

Zu Hause hatte ich mich ja schon gefragt, warum die drei mir vorliegenden 04er-Führer des ÖAV alle die Walchensee-Variante des E4/Maximiliansweg nehmen und nicht die Original-Route mit Übernachtung in den Herzogstandhäuser auf dem Hügel oberhalb des Sees im obigen Bild.

Mittlerweile ist mir das klar: Die WUSSTEN bereits vom Wassermangel, der deswegen nun bereits Mitte Juni reduzierten Öffnung auf's Wochenende und daß ich an einem Montag unterwegs sein würde. Wirklich toll, derart kontextsensitiv arbeitende Hilfsmittel !

So, damit habe ich nun zwischen Tegernsee und Walchensee aus zwei Etappen drei Wandertage gemacht und den Salzkammergut-Puffer-Tag planmäßig aufgebraucht.

Mittlerweile halte ich Tegernsee-Brauneck (wenn es nicht gerade Wochenende ist) aber auch gut machbar, wenn man (wie ich) am Vortag bereits über den See fährt und in Bad Wiessee übernachtet und wenn man die Route direkt über den Hirschbachsattel nimmt !


Begegnungen:

- 2 Steinböcke

- 1 Libelle

- 1 Nürnberger Motorrad-Fahrer beim Mittagessen am Walchensee


17 Kommentare:

  1. Kleiner Klugscheisserkommentar für den Rindviecherexperten von der Frau die Funfakts zum Thema Orientierung im Gelände sammelt.
    "Kühe richten ihren Körper beim Grasen bevorzugt in Nord-Süd-Richtung aus".
    Quelle:
    https://www.sueddeutsche.de/wissen/orientierung-von-tieren-die-kuh-als-kompass-1.707778
    Da hängt jetzt die Hangtheorie irgendwie....

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    1. 1. Die Physikern zieht Zeitungsaussagen zu rate. So, so.
      2. Ob bei dieser Studie nicht nur Flachlandkühe bzw. Ebenenabfraß betrachtet wurde ?
      3. Ich könnte mutmaßlich Dutzende an Fotos heraussuchen, wo bestimmt NICHT alle Kühe in die gleiche Richtung - geschweige denn Nord-Süd- - ausgerichtet sind.
      4. Umgekehrt kennt doch jedes Kind die von den Kühen in steilen Hanglagen hineingetretenen Querpfade: Ist ja auch logisch, denn die Links-/Rechts-Kühe müssen ja wie bei einer Schreibmaschine vor und zurück und dann gibt es halt ab und an Carriage Return (CR) bzw. Line Feed (LF) ==> "Füttern" - you know...
      5. Am besten war ja aber immer die Magnet-Sammlung unseres Physiklehrers: Also nach dieser wäre JEDE Kuhe Nord-Süd-ausgerichtet, denn die chaotische Sammlung zeigte so ziemlich in jede Richtung bei großer Betrachtungsmenge...

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  2. Physiker-I-n soviel Ordnung muss sei....;-) obwohl nach Ordnung klingt es ja nicht, wenn im Herzogtum die Magnete unterschiedliche Ausrichtung haben. Ich vermute Du meinst die magnetisierten Nädelchen, die das Feld anzeigen sollen. Und da kommt es halt jetzt drauf an, ob magnetisiert oder nicht...
    Was die Wege angeht, dass ein Rindvieh beim Weg zur Arbeit nicht den Steilanstieg wählt ist nachvollziehbar, wie es sich dann aber am Grasbüschel anordnet ist eine andere Geschichte. Ich verkneife mir jetzt Beweisbilder, bevor es dann heißt meine Allgäuer Kühe ticken halt anders....Muhhh

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    1. Ja, genau, die magnetisierten, drehbar gelagerten Kompaßnadeln.
      Fotos kannst Du hier gerne hochladen.
      Allgäuer Kühe mag ich auch: Die sind immer so zart ;-)

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  3. Drei 04er-Führer? Sammelst du die etwa? :D

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    1. Was meinst Du, warum der Rucksack so schwer ist ? ;-)
      Im Ernst: Ja, habe 3 Stück (quasi verschiedenste Qualitätsjahrgänge). Muß wohl eine gute Quelle haben.
      Bei Interesse einfach melden, dann lasse ich Dir Kontaktdaten von Gert zukommen... *lol*

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  4. Du bist ja noch ein größerer Märchenerzähler als dein Vater ;)

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    1. Ich habe keine Ahnung, was es meint :-b

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    2. Komisch, bei sowas meldet sich immer die falsche Persönlichkeit der vielen Kais. Aber das überrascht mich nicht wirklich ;)

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  5. auf-und-davon02 Juli, 2023 14:51

    Die Bein-Züchtungen waren mir prinzipiell bekannt. Hier haben wir die bei den Deich-Schafen.
    Gruß
    Stefan

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    1. Ah, ja, stimmt, Du bist ja auch kein Stadt-Kind, sondern kommst vom (Hinter-dem-Deich-)Land: Mit diesen Schafen hast Du natürlich völlig recht !

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  6. Da oben kann man immer noch aufs Seemannsgarn verweisen... Kinners!

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    1. Irgendwie komisch, wenn Vegetarier sich in derartige Fleisch-Diskussionen einschalten ;-)
      Hattest Du nicht so ziemlich alle Fächer (inkl. Horror-Fächer wie Kunst und Sport) schon unterrichtet, aber gerade um Biologie und Chemie (noch) einen großen Bogen gemacht ?

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  7. Um Himmels Willen! Bei diesen Räuberpistolen (ok Muh-Latein) frage ich mich langsam, ob wir hier die Grenzen dicht machen sollen. Der Weitwanderer bringt noch ganz Liechtenstein durcheinander. 😂 Frohes Weiterphilosophieren. 😇

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